Ein Abend für Gerhard Wahrig

Dienstag, 24. September 2013 20:13



WIESBADENER KURIER

Ein Abend für Gerhard Wahrig und sein Wörterbuch 

24.09.2013 – WIESBADEN    - Von Viola Bolduan

Der Vater wäre im Mai 90 Jahre geworden. Er starb 1978, im Alter von 55, in Wiesbaden. Hier hatte Gerhard Wahrig, Linguistik-Professor an der Mainzer Universität, auch sein eigenes Büro eingerichtet, in dem sein Wörterbuch, „Der Wahrig“, herausgegeben wurde. Anfang der 80er Jahre noch wurde das Projekt in Wiesbaden fortgesetzt, bis die jüngste Tochter, Renate Wahrig-Burfeind, es 1986 übernahm, ausbaute und bis heute die neuen Ausgaben des Wahrig- Ur-Standardwerks besorgt. Die 54-Jährige, selbst promovierte Linguistin, ist fest in die Fußstapfen ihres Vaters getreten. Am heutigen Dienstag wird sie über sein „Leben und Wirken“ im Literaturhaus Villa Clementine sprechen, wenn die Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) zum Gedenken an Gerhard Wahrig einlädt. Renate Wahrig-Burfeind ist in Wiesbaden aufgewachsen, erinnert sich an die erste Wohnung der Familie mit drei älteren Geschwistern an der Sonnenberger Straße, den „kleinen blauen DKW“ des Vaters, mit dem Ausflüge unternommen wurden, an ihre Helene-Lange-Schule. „Eine schöne Kindheit“, sagt die zarte, energievolle Frau, die heute in Groß-Gerau lebt und selbst vier Töchter hat. „Wiesbaden ist immer präsent geblieben“, weil die 88-jährige Mutter hier im Heim lebt und oft besucht wird, weil im späteren Haus am Panoramaweg Renate Wahrig-Burfeind erst vor Kurzem auf einen riesigen schriftlichen Nachlass ihres Vaters stieß. Sie hat ihn gesichert und will ihn nun aufarbeiten. Und – nicht zuletzt, weil auch sie, wie der Vater, Mitglied der GfdS ist, die nun mal in Wiesbaden ihren Sitz hat.

EDV-Verarbeitung 

Das eigene ursprüngliche Interesse galt Musik und Literatur – die Beschäftigung mit Sprachwissenschaft setzte bei Renate Wahrig-Burfeind erst später ein. Im Wiesbadener Büro hatte sie mitgearbeitet, 1989 ihre Promotion abgeschlossen und zeichnet seit Jahrzehnten verantwortlich für die Überarbeitung und Aktualisierung der Wahrig-Wörterbücher. Mittlerweile sind 18 verschiedene Titel auf dem Markt, die letzte Ausgabe des großen „Deutschen Wörterbuchs“ kam 2011 heraus. 

Was zeichnet „Den Wahrig“ – ob großes oder kleines Wörterbuch – denn nun aus? Schon in Leipzig, als der Vater am Bibliographischen Institut gearbeitet hatte, ehe er 1967 wissenschaftlicher Leiter des Wiesbadener Franz-Steiner-Verlags wurde, habe er die Idee einer Zusammenfassung verfolgt: „Ein Buch“ sollte es sein (statt mehrbändiger Duden-Ausgaben), und Basis sollte die Semantik (Bedeutungslehre), nicht die Rechtschreibung sein. Deshalb wurde die Erstausgabe des „Deutschen Wörterbuchs“ von 1966 ein so großer Erfolg, auch im Ausland. Zudem war Gerhard Wahrig der Erste, der die systematische Aufstellung von Wörtern mit elektronischer Datenverarbeitung verband. „Er hatte großes Interesse an Technik“, erklärt Tochter Renate. „Von Papier zur digitalen Datenerfassung“ wird denn auch ein weiteres Thema des GfdS-Abends sein.

So nützlich auch jeder elektronische Fortschritt – er kann nur Instrument für die Systematisierung der Sprache sein. Das Wichtigste bleibe, so Renate Wahrig-Burfeind, die Sprache selbst als Ausdrucksmittel unseres Denkens. Und das, was auf Papier festgehalten ist, wird immer nachhaltiger wirken als die Ablage im Computer. Der Nachlass des Vaters bestätigt es ihr.

„Vom Krieg bis in die 70er“

Die Veranstaltung zu dessen Ehren empfindet sie als Würdigung seines Werks in der wissenschaftlichen Bedeutung seiner Zeit. Es ist auch ein Zeitdokument, das die Tochter für den Vater aufschlagen will – „vom Krieg bis in die 70er Jahre“. Es wird in Wiesbaden manche geben, die Gerhard Wahrig noch als Linguist in Mainz erlebt haben und viele, in deren Regalen „Der kleine Wahrig“ oder auch sein großes „Deutsches Wörterbuch“ (heute mit DVD) steht, herausgegeben früher von Brockhaus/Bertelsmann, jetzt Wissen Media Verlag.